Zusammengestellt vom Ortsheimatpfleger Arnold Plesse.
Bearbeitungsstand: 20.05.2004
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Zeitungsausschnitt in der NORDSEE ZEITUNG vom 10.2.1988

Bahnhof 1988

In Lunestedt geht im Herbst eine Ära zu Ende

Beamte werden durch moderne Technik ersetzt - Erste Bedarfshaltestelle wurde 1879 eingerichtet

sim. L u n e s t e d t (Samtgemeinde Beverstedt). Zur Verschönerung des Ortsbildes trägt er nicht gerade bei, der kleine Rotsteinbau mit seinem flachgeneigten und mit Eternitplatten bedeckten Dach. Der Bahnhof Lunestedt hätte schon seit Jahren eine Renovierung nötig gehabt, doch dieses Vorhaben scheiterte stets am schmalen Geldbeutel der Deutschen Bundesbahn. Die Renovierungsfrage wird sich künftig nicht mehr stellen, denn der kleine Bahnhof soll demnächst, wenn die Baumaßnahmen planmäßig verlaufen, den Rationalisierungsplänen der Deutschen Bundesbahn zum Opfer fallen. Es wird voraussichtlich ab Herbst 1988 eine sog nannte Selbstblockeinrichtung in Betrieb genommen: Signale werden durch den fahrenden Zug bedient, nachdem zunächst der Bahnübergang über eine Fernsehanlage durch den Bahnhof Stubben überwacht wurde und die Schrankenanlage geschlossen worden ist.

Die Eisenbahnstrecke zwischen Bremen und Bremerhaven 1) wurde am 23. Januar 1862 eröffnet. Der ursprüngliche Plan sah eine Linienführung über Beverstedt vor, doch die anliegenden Dörfer wehrten sich zunächst dagegen. Abgeordneter Müller, Gutsbesitzer aus Freschluneberg, setzte dann die Streckenführung über Freschluneberg durch, obwohl er auch hier auf Widerstand stieß. Einen Bahnhof oder eine Haltestelle bekam der Ort aber noch nicht.

Erst 1879, nach langjährigen Bemühungen, bekam Freschluneberg eine Bedarfhaltestelle zugewiesen mit der Auflage, ein Bahnhofsgebäude auf eigene Kosten zu errichten. Unter großen Anstrengungen brachte man - Freschluneberg 1700 Goldmark, Hollen 400 Goldmark, Heise 50 Goldmark, Wittstedt 50 Goldmark - 2200 Goldmark zusammen und ließ einen kleinen bescheidenen Bahnhof bauen, der heute noch vorhanden ist. Wollte ein Reisender mit dem Zug mitfahren, so wurde eine rote Fahne geschwenkt und somit dem Lokführer "Halt" signalisiert. Für die Für die Rückfahrt mußte der Bedarfshalt rechtzeitig auf dem Abgangsbahnhof beim Zugführer beantragt werden. 1882 wurde die Bedarfshaltestelle in einen Bahnhof umgewandelt, alle Züge hielten jetzt planmäßig. Dieser wichtige Verkehrspunkt hat dann in der Folgezeit wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung des Ortes Freschluneberg beigetragen.

Seine Blütezeit hatte der Bahnhof nach 1945 bis hin zu den sechziger Jahren. Der Bahnhof diente dem Reiseverkehr sowie dem Gepäck-, Expreßgut- und Güterverkehr. Die Bediensteten verrichteten den sogenannten gemischten Dienst und wurden scherzhaft als Allroundeisenbahner bezeichnet. Am Fahrkartenschalter herrschte ein reger Kundenverkehr. Das Auto hatte noch nicht den Stellenwert eines Nahverkehrsmittels, den es heute hat.

Der dienstälteste Beamte Heinz v. Thun, der seit 35 Jahren auf dem Bahnhof Dienst tut, kann sich noch sehr gut an diese Zeit erinnern: "Täglich haben wir weit mehr als hundert Fahrkarten verkauft und zum Monatsersten, wenn Berufstätige und Schüler ihre Zeitkarten lösten, bildete sich vor dem Schalter eine lange Schlange. Auf dem Bahnsteig Richtung Bremerhaven stand zu den Berufszügen morgens eine dichtgedrängte Menschenmenge."

Die Gepäck- und Expreßgutabfertigung wurde auf dem kleinen Freschluneberger Bahnhof ebenfalls von zahlreichen Kunden in Anspruch genommen. Alle haltenden Personenzüge hatten noch einen Gepäckwagen, und eine schnelle und reibungslose Beförderung war jederzeit gesichert. Doch 1975 wurde dieser Service eingestellt.

Güterschuppen 1988

Der im Jahr 1965 im Zuge der Streckenelektrifizierung abgebrochene Güterschuppen hatte bis zur Einstellung des Stückgutverkehrs auch seine Daseinsberechtigung. Viele Privatkunden, kleine Unternehmer und Firmen des Ortes und der Umgegend erhielten hier ihr Stückgut und konnten ebenfalls ihre Güter für den Versand abfertigen lassen.

An der Ladestraße herrschte ein starkes Leben und Treiben. Landwirte und Händler entluden die angekommenen Dünger und Kohlenwagen. An der Kopf- und Seitenrampe wurden Landmaschinen in Empfang genommen und Viehhändler wickelten hier den Transport ihrer in den umliegenden Dörfern aufgekauften Tiere ab. Zur Zeit der Kartoffel- und Zuckerrübenernte begann die Hochsaison für die Verladung dieser Hackfrüchte. Die anliefernden Landwirte des Ortes und der Umgegend sorgten für einen regelrechten Hochbetrieb auf der Ladestraße.

Doch die Zeit der fortschreitenden Technisierung und der Automation, begleitet von den Sparzwängen der Deutschen Bundesbahn hat es mit sich gebracht, dass das breitgefächerte Beförderungsangebot auf dem Bahnhof Lunestedt, so heißt er seit 1970, nach und nach zurückgebaut wurde.

Die überwiegende Zahl der Leute im Ort, die auch von "unserem Bahnhof" sprechen, bedauern diese rückläufige Entwicklung und können sich über die "Kundenfreundlichkeit" der Deutschen Bundesbahn im Nahverkehr nur wundern. Protestaktionen von Bürgern und Parteien, auch schon gegen die Schließung des Fahrkartenschalters im vergangenen Jahr, hatten keinen Erfolg.

Wo Technik und Rationalisierung unaufhaltsam ihren Fortschritt nehmen, da wird der Mensch in den Hintergrund gedrängt. Arbeitsplätze gehen verloren. Auf dem Bahnhof Lunestedt verlieren fünf Beamte und ein Arbeiter ihre Dienstposten. Diese DB-Mitarbeiter werden anderweitig untergebracht: "Hoffentlich zu unserer Zufriedenheit", so die Betroffenen.

1) Richtig muss es heißen, die Bahnstrecke "zwischen Bremen und Geestemünde" - oder "zwischen Bremen und dem heutigen Bremerhaven", denn "Bremerhaven" gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht.