Bearbeitungsstand: 09.02.2005
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Kriegsende in Freschluneberg

aus der Ortschronik von Freschluneberg
(Chronist: Lehrer Cordts)

Febr./
März
1945
Es kommen "Schipper" nach Freschluneberg und werden bei Ehlers untergebracht, es sind Italiener und Polen. Sie sollen in Loxstedt die Verteidigungsanlagen ausbauen.
Am 27. Februar kann die Spar- u. Darl. Freschl. auf ihr 25 jähriges Bestehen zurückblicken. In einer Versammlung der Kreisbauernschaft wurde dieser Tag besonders erwähnt und dem Rendanten H. Cordts u. dem Aufsichtsratsmitglied Joh. Fischer für 25 jährige ehrenamtliche Tätigkeit die silberne Ehrennadel des Verbandes überreicht.
5.3.45 Verordnung des Reichsbauernführers über Einschränkung der Geflügelhaltung.
15.3.45 Ostflüchtlinge kommen im "Treck" nach Freschluneberg: 20 Wagen, 47 Pferde 120 Menschen. Es sind Bauern aus Bessarabien, die im Jahre 1942 in Westpreußen angesiedelt wurden.
Im Laufe des Jahres 1944 ist neben dem Flak-Scheinwerferstand eine Baracke errichtet.
21.3.1945 Am 21. März wird die Scheinwerferstellung bezogen von 4 älteren Marine Soldaten und 10 jungen Flak-Helferinnen. Ihr Einsatz dauerte hier aber nicht lange. Am 10. April werden werden sie wieder in ihre alten Stellungen zurückgenommen nach Nesse und Bexhövede.
April 1945 Der Kreis erhält Befehl, Panzersperren zu bauen. Unsere Panzersperre muß 100 m jenseits der Lunebrücke erbaut werden. Der Volkssturm baut und die Ostflüchtlinge helfen mit Gespann.
In der Zeit vom 10.-20. April beginnt eine Bevorratungsverteilung an Butter, Oel, Fleisch. Die Ware wird aus den Kühlhäusern geholt.
Am Bahnhof ist eine Munitionszug abgestellt, weil die Brücken in Bremen nicht mehr passierbar sind. Die Einwohner sind wegen der Gefahr sehr erregt.
12.4.45 Eine Bäckerkolonne zieht in Freschluneberg ein; sie bleibt bis zum 14.4.45 abends.
Freschluneberg erlebt den ersten Tieffliegerangriff. Der Personenzug morgens um 7 1/2 Uhr wurde von 2 Tieffliegern angegriffen. Die Lokomotive wurde getroffen und mehrere Personenwagen (3 Tote und 7 Verwundete).
Die Tiefflieger sind jetzt täglich hier. Sie beschießen die Bahnstrecke, die Straße Weserm. - Bremen und die Straße Weserm. Beverstedt. Bald darf sich am Tag kein Zug und kein Fuhrwerk mehr sehen lassen. Der Verkehr wird in die Nach verlagert.
14.4.45 Die Bäckerkolonne zieht ab zur Fähre Dedesdorf-Kleinensiel, um jenseits der Weser eingesetzt zu werden.
Flieger belegen die Bahnstrecke mit Bomben zwischen Freschluneberg - Loxstedt. Es kann nur noch eingleisig gefahren werden.
16.4.45 Die Schulen werden bis auf weiteres geschlossen (Tieffliegergefahr).
Der Munitionszug wird langsam entleert.
Der Flakstand wird von einer Flakabteilung besetzt. Es sind 15 bis 16 jährige Jungen (zum Teil Russen). Und damit will man noch den Krieg gewinnen!
22.4.45 Es kommen die ersten Flüchtlinge aus Wesermünde mit einem Sonderzuge, weil Wesermünde als Festung verteidigt werden soll. Sie werden im H.J.Heim untergebracht.
25.4.45 In den Nachmittagsstunden erfolgt ein schwerer Fliegerangriff auf unseren Bahnhof. Die Fensterscheiben und Dächer in der Nähe des Bahnhofs werden zertrümmert. Menschenleben sind glücklicherweise nicht zu beklagen.
Immer mehr Truppen fluten zurück und werden der Küste zugetrieben. So wechselt die Einquartierung in Freschluneberg täglich und stündlich.
Die Bauern wagen sich nicht mehr aufs Feld und arbeiten mit ihren Pferden nur in den frühen Morgenstunden oder in den späten Abendstunden.
1.5.45 Adolf Hitler ist gefallen. Der Krieg ist aus. Adm. Dönitz bietet die bedingungslose Kapitulation an. Der ganze Kampf war zuletzt nutzlos geworden.
4./5.5.45 Um 8 Uhr tritt in Nordwestdeutschland Waffenruhe ein. Nun sind wir der Gnade oder Ungnade der Sieger ausgeliefert.
6.5.45 Panzersperren müssen sofort beseitigt werden.
7.5.45 Ausgehverbot, weil der Einzug der Engländer erwartet wird.
In Heerstedt besetzt der Engländer die Straßen. Die Bauern müssen innerhalb 2 Stunden geräumt haben.
13.5.45 Sonntag. Die deutschen Truppen ziehen ab, um in der Nähe von Stade Unterkunft zu beziehen.
20.5.45 Die englischen Truppen ziehen wieder ab und werden durch amerikanische Soldaten ersetzt. Wir kommen unter die Amerikaner.
Die Baracke an der Flakstellung wird von Polen bezogen, die hier bisher bei den Bauern gearbeitet haben. Sie führen ein wahres Räuberleben, stehlen Fahrräder, Motorräder und alles, was sie brauchen können.
3.6.45 Die Polen werden nach Bremen ins Lager abgeholt. Die leergewordene Baracke wird von Flüchtlingen aus dem Osten sofort wieder belegt. 4 Familien ziehen dort ein.
20.6.45 Bürgermeister Johs. B. Rahders muß wegen Parteizugehörigkeit sein Amt niederlegen, das er 30 Jahre innegehabt hat. Zum Nachfolger wird Wilhelm Rahders eingesetzt von der Militärregierung.
25.6.45 Der Personenverkehr wird wieder aufgenommen. Es fährt vorläufig nur ein Zug nach Wesermünde, und am Abend kommt ein Zug von Wesermünde. Die Züge sind überfüllt.
2.7.45 Der Postverkehr wird in beschränktem Umfang wieder aufgenommen für Postkarten und Geschäftsbriefe.
Das Wetter ist recht unbeständig. Es regnet viel, die Wicken zeigen sich und nehmen dem Roggen die Nahrung weg. Die Kornernte wird schlecht ausfallen. Auch die Kartoffelfelder sehen schlecht aus. Man sieht, daß der Kunstdünger fehlt. Dazu tritt plötzlich der Kartoffelkäfer überall auf. Es werden Suchaktionen von den Schulkindern und den Erwachsenen durchgeführt. Es hält aber schwer, die vollständige Vernichtung zu erreichen. Für den Kartoffelanbau und damit für die Volksernährung ist eine große Gefahr heraufbeschworen.
Die Soldaten kehren allmählich in die Heimat zurück. Von sehr vielen lieben jungen Menschen (besonders von der Ostfront) fehlt noch bis heute jede Nachricht. Viele kommen schwer krank zurück. Die Strapazen und der Hunger haben sie krank gemacht. Wann werden die letzten Krieger heimkehren?
Jan. 1946 Im Januar 1946 wird ein neuer Ausschuß gebildet. Er besteht aus 8 Mitgliedern: Hinrich Rahders, Joh. Tiedemann, H. Müller, A. Schal (Flüchtling), Carl Runge, Hermann Thoden, Friedrich Häsemeyer und Hermann Ziegenbein (Evakuierten).
Aug. 1945 Der Unterricht in den Schulen ist von der Militärmacht wieder erlaubt. Es dürfen aber die Nazis, wie man die Parteimitglieder nennt, nicht wieder unterrichten. Sie müssen sämtlich entlassen werden. Daher fehlt es an Lehrkräften. So bleibt vorläufig die Schule in Freschluneberg auch geschlossen, weil (Lehrer Cordts) ich auch unter diese "Nazis" fällt falle.
(Die Streichungen im Original deuten an, mit welchen Gefühlen der Chronist diese Eintragungen gemacht hat.)
Die Deutschen (d.h. die Nichtparteigenossen) zeigen sich nun in ihrer wahren Gesinnung und in ihrem rechten Charakter. Sie erscheinen in Massen bei der Militärverwaltung, um ihnen unliebsame Nachbarn & Verwandte anzuzeigen, mit denen sie persönlich einen Streit gehabt habe. Die Folge davon ist, daß Parteigenossen plötzlich von der Militärregierung abgeholt werden ins Internierungslager. Solche Lager waren in Bremen (Lettow-Vorbeck-Schule), in Westertimke u. Fallingsbostel etc.. Keiner wußte, wo die Parteigenossen geblieben waren, die Militärregierung schwieg u. die Inhaftierten durften nicht schreiben. Erst nach Monaten sickerte dann allmählich die Nachricht durch, daß die Verhaftete in dem und dem Lager waren. Aus Freschluneberg wurde Ortsgruppenleiter N. Gehr im Juni in Haft genommen. Er saß in Westertimke u. später Fallingbostel. Im Frühjahr 1946 kam er wieder frei. Eine lange Lagerzeit mußte auch Fritz Riedemann durchmachen. Durch Anzeigen persönlicher Feinde wurde er Anfang August 1945 geholt, nach Bremen gebracht und nach etwa 14 Tagen weiter nach Ludwigsburg in Württemberg gebracht.
Ich selbst wurde noch am 21. Jan. 1946 geholt, weil ich Amtsleiter der NSV (Volkswohlfahrt) gewesen war. Ich wurde aber nach 3 Wochen Haft in Bremen wieder entlassen.
Ebenso erging es dem Ortsbauernführer Carl Tiedemann, der nur etwa 14 Tage in Bremerhaven in der Karlsburg (Gefängnis) gesessen hat. Die Militärregierung hatte anscheinend erkannt, daß die Anzeigen nur auf persönlichen Haß zurückzuführen waren und die Gefangenen einen einwandfreien Lebenswandel auch in politischer Weise geführt hatten, und daß der Charakter dieser Menschen oft besser war, als die Leute, die bei der Militärregierung Anzeige erstatteten.
Manch schwere Nachricht trifft noch ein. Richard Meinken ist im Frühjahr 1945 noch bei einem Fliegerangriff in Westfalen ums Leben gekommen. Vom 1. Tage des Krieges an war er Soldat u. verlor nun noch sein Leben, als seine Abteilung zurückverlegt wurde.
Im November 1945 erreichte uns die Nachricht, daß Helmut Lehmker im Jan. 1945 gefallen war. Er war kaum 18 Jahre. Durch Bauchschuß wurde er im Westen schwer verwundet und starb nach einigen Tagen in einem Feldlazarett in der Eifel.
Von so vielen lieben Menschen (besonders von der Ostfront) fehlt bis heute noch jede Nachricht. Ob man wohl noch mal ihr Schicksal erfahren wird?
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