Bearbeitungsstand: 05.03.2005
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Kriegsende und Nachkriegszeit in Westerbeverstedt

aus der Ortschronik von Westerbeverstedt
(Chronist: Marie Grab)

1945 Ab 5. Mai 8 Uhr war Waffenstillstand. Waffenstillstand? War es denn überhaupt zu fassen? So hatte uns der Krieg verschont? Die Front würde nicht mehr über uns hinwegrollen. Wie hätte es hier wohl ausgesehen, wenn der Waffenstillstand um einen Tag später eingetreten wäre?
Am 5. Mai zogen die Truppen ab. Ihr Abschiedswort an uns war: "Für Sie ist der Krieg zu Ende, für uns nicht. Wir gehen jetzt hinter Stacheldraht." Wir haben aber erfahren, daß der größte Teil von dieser Truppe nach einigen Monaten entlassen wurde.
Waffenstillstand! Wir konnten es nicht fassen, daß der Krieg zu Ende sein sollte. Keine Flieger mehr, keine Bomben, kein Verdunkeln mehr! Nur noch Trauer um die, die nicht wiederkommen konnten und Bangen um die, von denen keine Nachricht kam. Bis zum Jahresende 1945 war aber schon ein großer Teil derer entlassen, um die die Herzen unseres Dorfes sich sorgten. Einer nach dem anderen kam heim, und über jeden Heimkehrer freute sich das ganze Dorf. Die aber in Gefangenschaft waren, kamen immer noch nicht. Es waren auch immer noch welche da, von denen nie mehr eine Nachricht kam. Eurer sei an dieser Stelle gedacht:
Hans Seebeck und Heinrich Seedorf! Was ist mit Euch? Noch hoffen wir! Hans Seebeck! Als kleines Kind hattest du dich im Fuhrenkamp verlaufen. Man hat dich gefunden. Und nun?
Auch Schwerbeschädigte kamen heim zu uns. Walter Seebeck, Klaus Bullwinkel und Willi Grother haben jeder ein Bein verloren. Alle drei junge Leute. Der jüngste unter ihnen ist Willi Grother mit 17 Jahren. Helmut Kassebaum verlor ein Auge, dazu hat er eine schwere Beschädigung am linken Arm.
Bei den Akten der Feuerwehr fand sich 2002 ein Dokument darüber, was die Leute in der Zeit sofort nach dem Krieg bedrückte. Damals gab es noch keine rechte ordnende Macht. So mußten sich die Bürger selber helfen - notfalls mit einem Knüppel.
(Foto: Feuerwehrarchiv)
Besetzung. Das graue Kriegsgespenst war gebannt. Da tauchte ein neues auf. Die Besatzungstruppen rollten heran. Von überall kam Nachricht, daß Häuser geräumt werden mußten zur Unterbringung der Truppen. Es hieß, daß auch hier welche kommen würden. Wen alles würde hier das Los des Räumens treffen? O gütiges Geschick! Auch davon blieben wir verschont. Aber immer rasten die schweren Kriegswagen hier durch. Fremde Gesichter sah man darauf und fremde Uniformen. Fußwege konnte man bald nicht mehr erkennen. Was würden uns diese Menschen bringen? Freiheit? Besserung der Verhältnisse? Zunächst holten sie aus verschiedenen Häusern die Rundfunkgeräte heraus. Ob sie dazu ein Recht hatten, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir waren froh, daß wir von größeren Schäden verschont blieben. Es lief sich auch schnell alles ein, und wir merkten nicht mehr unmittelbar die Besetzung.
Einige Veränderungen in der Verwaltung des Dorfes waren reibungslos vollzogen. So wurde der Zimmermeister Dietrich Holscher zum Bürgermeister ernannt. Der Ausschuß wurde entsprechend neu gebildet. Ortsbauernführer wurde Wilhelm Börger.
Im Herbst 1945 begann der Schulunterricht wieder. Es wurde auch Zeit. Der Unterricht war über ein halbes Jahr ausgefallen.
Lehrer wurde Oswald Luttkus aus der Ostzone. Die Ernteverhältnisse sind in diesem Jahr durchschnittlich, so wie es die schlechten Düngeverhältnisse gestatten. Die Ernte ist noch nicht geborgen, da setzte auf den Feldern eine rege Geschäftigkeit ein, die man hier sonst nicht sah. Es waren die Flüchtlinge, die Ähren sammelten. Menschen, die Haus und Hof verlassen mußten! Nun suchten sie hier Korn für Korn das Notdürftigste für ihren Lebensunterhalt zusammen. Ebenso begehrt wie die Ähren, war das Sammelholz im Wald, das sonst achtlos vermoderte. Einige der Flüchtlinge hatten sich wohl Torf gegraben, doch das war alles noch nicht richtig eingelaufen.
...
1947 Am 2. Ostertag dieses Jahres veranstaltete die Gemeinde einen Dorfabend unter der Leitung des Lehrers Luttkus. Theater, Volkstänze und Lieder wurden vorgeführt. Zweck der Veranstaltung war, Einheimische und Flüchtlinge einander näher zu bringen. Der Abend war über alles Erwarten stark besucht und brachte eine gute Einnahme, die den Flüchtlingen zugute kommen soll.
Die Schule Westerbeverstedt veranstaltete wieder, wie im Vorjahre, eine Weihnachtsfeier. Die Kinder der ersten Klasse bastelten kleine, nette Spielsachen. Damit werden die noch nicht schulpflichtigen Kinder des Dorfes beschenkt. Aus freiwilligen Spenden wurde Gebäck bereitet. Eine Sonderzuteilung an Schokolade und Süßigkeiten für die Schulkinder kam hinzu, sodaß dieser Abend ein richtiges Freudenfest für alle Dorfkinder wurde. Jedes Kind mußte einen kleinen Beutel, mit Namen versehen, herschicken, den es dann bei der Feier gefüllt zurück erhielt. Märchenspiele und Singen sorgten für Unterhaltung.
Das neue Jahr beginnt mit einer ungewöhnlichen Milde. Wie der Dezember, so verläuft auch der Januar. Die Bauern können fast jeden Tag draußen arbeiten.
...
1948 Seit Kriegsende hatten die Felddiebstähle hier in der Gemeinde einen großen Umfang angenommen. Gestohlen wurde alles, was irgendwie eßbar war, ob es nun grüne Erbsen waren, oder Rüben und Kartoffel. Da halfen weder Warnungen, noch Selbstschutz. Manchmal mußten sich die Besitzer nächtelang auf die Lauer legen, um die Diebe zu erwischen. Aber dann kamen keine Diebe. Erwischt wurde höchstens einmal einer durch Zufall. Dabei ist es einmal vorgekommen, daß der Dieb in eiliger Flucht einen Sack mit Rüben und seine Holzschuhe im Stich gelassen hat. Es blieb nicht bei dem Stehlen von Feldfrüchten. Kühe wurden ausgemolken, Torf wurde gestohlen, in Taschen, in Säcken, ja sogar fuderweise. Die Verdächtigen waren nicht etwa nur unter den Zugewanderten zu suchen, die wohl durch Not dazu getrieben worden waren. Während der Zeit, da der Schwarzhandel in Blüte war, verschwanden Ackergeräte von den Feldern und Milchkannen von den Straßen. Milcheimer und Siebe, die sonst immer in den Weiden gelassen wurden, wechselten ihren Besitzer.
Da es seit der Währungsreform fast alles zu kaufen gibt, haben die Felddiebstähle in diesem Sommer erheblich nachgelassen. Der Bauer hat wieder Freude am guten Gedeihen seiner Früchte. Desto schlimmer ist jetzt das Stehlen von Gras auf den Wegen und in den Weiden. Verschiedentlich sind Laufzettel mit Warnungen durch die Gemeinde gegangen, aber noch immer geht das Stehlen weiter.
Da in diesem Sommer die Bewirtschaftung von Eiern und Geflügel aufgehoben wurde, hat ein vermehrtes Züchten von Geflügel eingesetzt; vor allem in den kleineren Betrieben.
...
1953
(Zeitungs-
artikel
von
Marie Grab:)

Sonnenwendfeier wurde zum Volksfest


Reinertrag soll einer Paketaktion für die Kriegsgefangenen dienen
Westerbeverstedt. Zum ersten Male erlebten die Einwohner des Ortes in ihrer Gemarkung eine große Sonnenwendfeier. Träger der Veranstaltung waren sämtliche hiesigen Vereine.
Dem Abbrennen des Feuers ging eine Feierstunde im Saal vorauf, zu der Landrat Döscher als Redner erschienen war. Kreisgeschäftsführer des BHE (1), P. Rahmel, eröffnete die Feier und begrüßte besonders die auswärtigen Gäste. Daran schloß sich eine Totenehrung, gesprochen von dem Kreistagsabgeordneten Birkner: "Wir gedenken der Toten. Wir gedenken der Mütter und Väter, die, gewaltsam von uns getrennt, im Boden unserer Heimat ruhen. Sie warten auf unsere Rückkehr. Wir gedenken der in Kriegen für uns und unser gemeinsames Vaterland Gefallenen. Wir Deutschen gedenken jener Brüder und Schwestern, die dem Völkerhaß und der Unmenschlichkeit zum Opfer fielen. Wir gedenken derer, die wir auf den Straßen der Flucht und der Vertreibung lassen mußten. Wir gedenken der Verschleppten und Gemarterten, der Erfrorenen und Ertrunkenen, der unschuldig Erschlagenen und widerrechtlich Gerichteten. Wir gedenken der dreieinhalb Millionen Menschen unserer Volksgruppen, deren Blut auch nach dem Stillstand der Waffen den Boden der Heimat tränkte. Wir gedenken unserer Brüder in Berlin, die für Freiheit und Recht in den letzten Tagen ihr Leben lassen mußten. Wir gedenken der menschen aller Völker, die im Inferno der Unmenschlichkeit litten und starben. Sie alle rufen uns nicht zur Rache und Vergeltung, und doch sollen sie nicht umsonst gelitten haben. Und doch wollen sie, daß wir Lebenden in ihrem Sterben Sinn und Auftrag erblicken. Darum gedenkt ihrer nicht nur als Opfer des Vergangenen, gedenkt ihrer als Märtyrer des Kommenden!"
Ebenso ergreifend war die Rede des Landrats Döscher, die in plattdeutscher Sprache gehalten wurde. Er zeichnete den Sinn und Zweck der Sonnenwende, die zu einer Wende des einzelnen Ich, der Familie, der dörflichen Gemeinschaft werden müsse. In Erlebnisberichten und Beispielen machte er klar, wie man vom Ich zum Du und vom Du zum Wir kommt. Modernisierung und Neuanlagen der Landwirtschaft und besonders unseres Dorfes wurden in humorvoller Weise hervorgehoben. Da bekamen im Nu alle Mädel Lust, unsere Bauernsöhne zu freien, so sehr: "Dat de Westerbeverstedter Burjungs sik nich vor Tolop helpen künnt! Ja, so mutt dat wesen, se mütt woller henström na da Land, mütt föhlen, dat ut dat Land dat Leben kummt!" Die lodernde Flamme galt als ein Symbol der inneren Wende.
Die Feierstunde im Saal wurde von Musik des Freschluneberger Spielmannszuges und von Liedern und Volkstänzen der Jugendgruppen umrahmt.
Nach der Rede des Landrats begann der Ausmarsch der Fahnen. Außer sämtlichen Ortsvereinen waren sämtliche Freschluneberger Vereine, sowie der Jugendgruppen von Stotel, Loxstedt und Düring erschienen. Unter Anführung des Spielmannszuges und des Reitvereins zu Pferde setzte sich ein riesiger Zug zum Festplatz, zum Feuerplatz in der Heide am Beeckdeel, in Bewegung. Vom ältesten bis zum jüngsten beteiligten sich die Einwohner.
Der Kreisvorsitzende des BvD (2), Otto Kubitz, hielt die Feuerrede. Er schilderte die Sonnenwendfeiern von Tausenden von Jahren. Unter seinen Worten sah man die Feuerräder von den Bergen rollen. Er rief die Menschen und vor allem die Jugend zur Umkehr, zur Natur zurück. Unter den Liedern der Jugendgruppen loderte die Flamme, das Symbol der Wende, zum Himmel empor. Unter Leitung von Frau Brantsch führte die Evangelische Jugend Feuertänze auf. Unter Leitung von Birkner folgten Lieder der DJO (3).
Durch besonders ruhiges Wetter wurde das Abbrennen des Feuers begünstigt. So wurde die Feier zu einem wahren Volksfest uralten Stils. Der Reinertrag aus der Veranstaltung soll einer Paketaktion für die noch in Rußland befindlichen Kriegsgefangenen dienen.
(1) BHE = Bund Heimatloser und Entrechteter
(2) BvD = Bund der vertriebenen Deutschen
(3) DJO = Deutsche Jugend des Ostens


"Am 8. Mai 1945 zogen britische Truppen, von Heerstedt kommend, durch den Ort. Westerbeverstedt erhielt keine Besatzung, lediglich die üblichen Kontrollen wurden hier durchgeführt. Bürgermeister Woltmann wurde nach langjähriger Tätigkeit des Amtes enthoben, Bürgermeister Holscher trat an seine Stelle.

Der Krieg war zu Ende, er hatte aus den Reihen der Stammbevölkerung 26 Tote gefordert, 18 Kriegsteilnehmer werden noch vermißt, mehr als ein Drittel aller Kriegsteilnehmer kehrte nicht wieder in die Heimat zurück. Diesen Kriegsopfern zuzurechnen sind die Verluste unserer neuen Bürger aus den deutsche Ostgebieten, die 14 Tote und zehn Vermißte zu beklagen haben.

Viele neue Probleme tauchten auf, Aufgaben, deren Lösung im Zeichen der Lebensmittelknappheit, des Materialmangels auf allenn Gebieten, des Besatzungsrechts und der fehlenden staatlichen Einheit nahezu unmöglich erschien."
aus: Westerbeverstedt, 1100 Jahre Geschichte eines niedersächsischen Dorfes, Festschrift der Gemeinde Westerbeverstedt 1960, S. 72 f

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