Bearbeitungsstand: 27.12.2007
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"Es ruht alles auf dem Bürgermeister - der Gemeindebulle und die Lehrerin"

- Amüsantes und Ernsthaftes aus den Chroniken von Freschluneberg und Westerbeverstedt -


(aus der Arbeit des Arbeitskreises "Kampf gegen das Vergessen" der Bildungsvereinigung "Arbeit und Leben", 1997)

In den Chroniken der Ortsteile Freschluneberg und Westerbeverstedt fand ein Arbeitskreis von "Arbeit und Leben" im Frühjahr 1997 Episoden, die zum Schmunzeln anregen. Zum Opfertag Ostern 1944 ist in der Freschluneberger Chronik (S. 75) eine Zeitungsnotiz geklebt. Darin wird über die "Last eines Bürgermeisters" berichtet, der das verantwortungsvolle Amt übernehmen mußte, obwohl er "längst schon seinen wohlverdienten Lebensabend ohne Arbeit verbringen sollte". Er fand "bei seiner Amtsführung niemand, der bereit gewesen wäre, den Gemeindebullen in Obhut und Pflege zu nehmen". "Eine weitere Sorge" bereitete ihm, "daß er keine geeignete Wohnung und keinen ordentlichen Mittagstisch für die neue Lehrerin finden konnte". In einem Schreiben an den Landrat schilderte er seine Nöte und faßte zum Schluß zusammen: "Ja, es ruht eben alles auf dem Bürgermeister, der Gemeindebulle und die Lehrerin."

So sehr zum Schmunzeln regen nicht alle Seiten der Chronik an. Trotzdem waren sich die Teilnehmer des zweiten Treffens im "Kampf gegen das Vergessen" einig: Die Vergangenheit kann ganz lebendig werden, wenn man dabei an die Nachbarschaft denkt. Im Gespräch wurde es vor allem interessant, wenn jemand sich erinnerte: "Ja, an Schwester Ilse kann ich mich noch erinnern. Da bin ich als Kind öfter gewesen, wir hatten ja keinen Arzt. Das war oben im Haus von Kaisers an der Bahn."

Alle wollten natürlich wissen, was aus dem Krieg in den Chroniken steht. Es werden vor allem die Gefallenen aufgelistet. Aber am 9.11.1942 traf der Krieg auch Westerbeverstedt. Lehrer Cordts aus Freschluneberg schreibt: "In den Abendstunden erfolgte wieder ein schwerer Angriff auf unser Küstengebiet. Dabei fiel eine Luftmine bei der Schule in Westerbeverstedt. Die Wohnungen und auch die Klassenräume wurden stark beschädigt, so daß sie vorläufig nicht mehr verwandt werden können. Lehrer Johannes von dem Knesebeck wurde durch Splitter und den Luftdruck so schwer verletzt, daß er am nächsten Tage, ohne die Besinnung wieder erhalten zu haben, starb. Für ihn wurde eine Trauerfeier im Brinkmannschen Saale veranstaltet. Die Ehrenwache hielten die politischen Leiter. Danach wurde die Leiche nach Volkmarst überführt. Außer der Luftmine fielen an dem Abend noch mehrere hundert Brandbomben. Dabei wurden zwei alte Scheunen und der Materialschuppen der Schaltstation des Überlandwerks in Asche gelegt." (aus der Freschluneberger Chronik, S. 69)

Interessant ist auch, was über den Beginn der NS-Zeit zu lesen ist: "In Freschluneberg war die Bevölkerung im allgemeinen wenig politisch ausgerichtet. ... Man glaubte, wenn man bei der Wahl erschien und seine Stimme abgab, hätte man genug getan, und es wäre besser, sich vom Parteigezänk fernzuhalten. Durch die vielen Parteien war es für den einzelnen Wähler auch schwer genug, die richtige Partei für sich herauszufinden. So ist es auch zu erklären, daß die ersten Mitglieder der NSDAP erst im Februar - März der Partei beitraten." Die anfängliche Zurückhaltung im Ort änderte sich aber. "Die Wahlen am 5. März brachten eine absolute Mehrheit für die NSDAP." Und dann gab es auch in Lunestedt das große Erwachen. Lehrer Cordts schreibt in der Chronik: "Frühlingsanfang (21. März 1933) in der Natur; Frühlingsanfang im politischen Leben Deutschlands. Am 21. März trat der neue Reichstag in der Garnisonkirche in Potsdam zusammen. Die Eröffnung des Reichstages wurde durch Rundfunk übertragen. Am Abend fanden große Aufmärsche und Umzüge mit Fackeln statt. Der Fackelzug wurde in Wittstedt aufgestellt, er marschierte durch Heise, Hollen, Freschluneberg, Westerbeverstedt und endete auf dem Sportplatz von Heinr. Ehlers. Ein großes Freudenfeuer loderte auf dem Sportplatz auf. Ortsgruppenleiter Wink ergriff das Wort. Er tat einen Rückblick auf die vergangene Zeit von 1918 an und feierte in schönen Worten die nationale Erhebung von 1933. Anschließend spracht Staats, Hollen über den 21. März, den Frühlingsanfang des 3. Reiches und der politischen Bedeutung des Tages von Potsdam. Adolf Hitler hatte am 30. Januar zum Volke gesagt: 'Gebt mir 4 Jahre Zeit, und ich werde die Arbeitslosigkeit beseitigt haben.' Nun wurde diese Aufgabe sofort in Angriff genommen." (Chronik von Freschluneberg, S. 34f)

Neugierig waren die Anwesenden darauf, wie denn die Chronisten 1945 das Kriegsende erlebt haben. Marie Grab, die nach dem Tod des Lehrers von dem Knesebeck die Westerbeverstedter Chronik verfaßte, schrieb in übergroßer Erleichterung: "Ab 5. Mai 8 Uhr war Waffenstillstand. Waffenstillstand? War es denn überhaupt zu fassen? So hatte uns der Krieg verschont? Die Front würde nicht mehr über uns hinwegrollen. Am 5. Mai zogen die Truppen ab. Ihr Abschiedswort an uns war: 'Für Sie ist der Krieg zu Ende, für uns nicht. Wir gehen jetzt hinter Stacheldraht.' Waffenstillstand! Wir konnten es nicht fassen, daß der Krieg zu Ende sein sollte. Keine Flieger mehr, keine Bomben, kein Verdunkeln mehr! Nur noch Trauer um die, die nicht wiederkommen konnten und Bangen um die, von denen keine Nachricht kam." (Chronik von Westerbeverstedt, S. 40f)

Am Ende des 1. Weltkrieges feierte man dagegen die Rückkehrer als Helden. "Der Krieg 1914 - 18 ist aus. Deutschland ist geschlagen. Die Kämpfer des gewaltigen Ringens sind heimgekehrt. Zu Ehren der Heimkehrer ist der Bahnhof geschmückt. Am 8.2.1919 wird eine Feier im Ehlers'schen Saale veranstaltet und die Krieger mit Kränzen geschmückt. Die Feier wird durch Gedichtvorträge und Lieder der Schulkinder ausgestaltet. In der Ansprache wird besonders der Gefallenen, der Vermißten und der Gefangenen gedacht." (Freschluneberger Chronik, S. 31)

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