Zusammengestellt vom Ortsheimatpfleger Arnold Plesse.
Bearbeitungsstand: 01.01.2009

20 Wagen, 47 Pferde, 120 Menschen - wohin damit?

Georg Müller erinnert sich an die Ankunft der Flüchtlinge
- am 15. März 1945

Georg Müller und Hugo Schaal
Georg Müller (links, damals 14 J.) und Hugo Schaal (damals 3 J.) stehen in der Langen Straße an der Stelle, wo die Bessarabiendeutschen am 15. März 1945 gegen 17 Uhr ankamen. Die Wagen standen nach hinten und dann weiter links im Hintergrund auf der (heutigen) Lindenstraße von Westerbeverstedt her. Im Bauernhof von Pape (links, heute Schliep) wurden die Flüchtlinge des Trecks verteilt, bevor sie weiterfahren konnten. Georg Müller wohnte gleich um die Ecke auf dem "Gutshof", und Hugo Schaal war mit einem der Wagen angekommen - unterwegs seit 19. Januar.

Für ein Dorf wie Freschluneberg war es damals eine große Anstrengung, 120 Menschen und 47 Pferde aufzunehmen. Wir hatten einen ziemlich großen Pferdestall. Er war für 9 Pferde ausgelegt und nachdem mein Vater 1938 einen Bulldogg gekauft hatte, standen nur noch 3 Pferde darin. Deshalb konnten wir auch den Landwirt Gniwotta samt seinem Gespann einstellen. Aber das war nicht bei allen Freschluneberger Höfen so möglich. Der Ort war klein, es gab nur etwa 20 Milchlieferanten, einige davon mit wenig Kühen und Milch. Der Pferdebesatz war bei uns nicht reichlich, es gab ja auch Musterungen, um Pferde für's Militär einzuziehen. So gesehen kamen die Pferde der Flüchtlinge auch gelegen. Und man musste ja z.B. mehr Kartoffeln anbauen, weil die Bevölkerung nun größer geworden war. Also gab es mehr Arbeit. Auch die menschliche Arbeit der Flüchtlinge und Vertriebenen war willkommen. Viele Männer waren ja nicht zu Hause. Während des Krieges hatte es ein Kriegsgefangenen-Lager in Freschluneberg gegeben. Die Gefangenen waren in der alten Molkerei (Bahnhofstraße 5) untergebracht und kamen zu den Arbeiten auf den Hof.

Die Verteilung und Einquartierung der Flüchtlinge hat der Bürgermeister organisiert. Es gab auch Flüchtlingsbetreuer, die genau Bescheid wussten, auf welchem Amt man was regeln musste und wie die Bestimmungen waren. In der ersten Zeit, als die Flüchtlinge ankamen, war ja noch die Nazi-Zeit, da wurde befohlen. Später hatte die Militärregierung das Sagen.

Die Flüchtlinge und Vertriebenen kamen in mehreren Wellen nach Lunestedt. Die ersten waren Ausgebombte aus Bremen und Bremerhaven. Teilweise kamen sie zu Verwandten, aber einige wurden auch zugewiesen. Nach dem verheerenden Angriff am 18. September 1944 auf Bremerhaven kamen besonders viele. Wir hatten ja ein großes Haus in dem verhältnismäßig wenig Leute lebten. Deshalb hatten wir schon mehrfach Menschen bei uns, die durch Bombenangriffe ihre Bleibe verloren hatten. Die nächste Welle war der Treck aus Westpreußen, der am 15. März 1945 ankam. Und dann kamen noch einmal die Vertriebenen aus Schlesien. Die kamen im Mai 1946.

Nun musste neuer Wohnraum geschaffen werden. Dafür gab es staatliche Hilfe. So konnten Nebenerwerbssiedlungen entstehen. Außer dem für große Familien kleinen Haus musste ein Schweinestall gebaut werden. Und für jedes Haus war der Nachweis einer landwirtschaftlich nutzbaren Fläche verlangt (1 ha). Eine Reihe von Ödlandflächen wurden für diesen Zweck umgebrochen. Als erstes entstand die Siedlung auf dem damaligen "Jahnplatz", das war ein Bolzplatz für sportliche Spiele. Warum die Siedlung hier zwischen Deelbrügger und Marienfelder Straße entstand, ist ganz einfach: Es wollte ja keiner den Flüchtlingen Baugelände zur Verfügung stellen! Später entstand die "Schmidt-Siedlung" am Sportplatz. - Das Gelände gehörte dem Bauern Georg Schmidt aus Freschluneberg. - Nach Auskunft von Georg Schmidt, der zu der Zeit als Soldat im Krieg war, wurde das Waldgrundstück seines Vaters zunächst abgeholzt, weil man Baumstämme für eine Panzersperre in Richtung Hollen brauchte.

Der Weg vom Dorf zur Siedlung war ein Sandweg. In Richtung Deelbrügge gab es damals keine feste Straße. Ein Radweg führte hinter dem Hof von Mehrtens durch den heutigen Bardelweg nach Beverstedt, geradeaus durch den Bardel. In der Siedlung bekam Daniel Rauschenberger ein etwas größeres Grundstück (Ecke Deelbrügger/Breslauer Str.). Er schaffte sich (wohl auch mit staatlicher Hilfe) einen Schlepper an. Für viele Vertriebene beackerte er deren Land. Außerdem verdiente er sich Geld dadurch, aus Bremerhaven mit Trecker und zwei Anhängern Bauschutt abzufahren. Und mit diesem Bauschutt wurde auch die Zufahrt zur Siedlung aufgefüllt.


Quelle
Das Gespräch mit Georg Müller wurde am 6. März 2005 von Arnold Plesse aufgezeichnet.
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